Verfolgung jüdischen Lebens
Geschichte und Leben der Juden in Markkleeberg ist eng verknüpft mit der benachbarten Stadt Leipzig. Trotz Zeiten der Ausgrenzung und Verdrängung konnte sich dort bis zum Jahr 1933 ein reiches und vielgestaltiges jüdisches Leben entwickeln. [1] Viele jüdische Markkleeberger arbeiteten in Leipzig oder besuchten den Gottesdienst in einer der Synagogen. Diese Entwicklung wurde 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten jäh unterbrochen. Zählte die israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig 1933 noch etwa 12.000 Mitglieder, waren bei Kriegsende 1945 gerade einmal 24 Personen übrig. In Markkleeberg soll es vor der Zeit des Nationalsozialismus zwischen fünfzig und sechzig jüdische Familien gegeben haben, über deren Schicksal bisher nur wenig bekannt ist. [2]
Die Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden begann direkt nach Hitlers Machtübernahme, zunächst mit gezieltem Straßenterror sowie der Abschaffung von Bürgerrechten, Erwerbs-, Bildungs- und Freizeitmöglichkeiten. Als unabdingbarer Bestandteil des Nationalsozialismus erreichte der Antisemitismus in den folgenden Jahren eine nie gekannte Intensität und gipfelte schließlich in der geplanten Vernichtung des europäischen Judentums. Der antisemitische Terror vollzog sich auch inmitten Markkleebergs und oft unter aktiver Beteiligung der Bevölkerung. Sie denunzierten ihre jüdischen Mitbürger, verweigerten Miet- und Pachtzahlungen, beglichen Schulden nicht oder bereicherten sich direkt an jüdischem Eigentum. Auch die gleichgeschalteten Zeitungen diffamierten Juden.
Die Boykottaktionen gegen jüdische Kaufhäuser, Einzelhandelsgeschäfte, Gaststätten, Arzt- und Rechtsanwaltspraxen sowie die antisemitischen Ausschreitungen Anfang April 1933 betrafen auch die jüdischen Einwohner Markkleebergs und ließen keinen Zweifel daran, was ihnen künftig bevorstand. Der sogenannte Arierparagraph, der den Nachweis „arischer“ Abstammung verlangte, bedeutete für viele Juden Berufsverbot und Ausschluss aus der Gesellschaft. Mit den Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935 wurden die Bürgerrechte für Juden massiv eingeschränkt.
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, der sogenannten Reichspogromnacht, wurden in Leipzig die Hauptsynagoge und die Ez-Chaim-Synagoge zerstört. Auch das renommierte Kaufhaus Bamberger & Hertz am Augustusplatz wurde in Brand gesteckt und die Inhaber der Brandstiftung beschuldigt, sodass sie selbst für die Zerstörung aufkommen mussten. [3] Am 8. Dezember wurde die Firma Bamberger & Hertz in Abwesenheit der verhafteten Brüder Ludwig und Gustav Bamberger aufgelöst und die AG Königsbau liquidiert, d.h. in das Vermögen nichtjüdischer Eigentümer überführt.
Gustav Bamberger lebte nach seiner Verhaftung mittellos in Leipzig und starb 1942 in einem Konzentrationslager bei Riga. Ludwig und dessen Frau Olla Bamberger, die ihren letzten freien Wohnsitz in der heutigen Hauptstraße 3 in Markkleeberg hatten, mussten in ein Leipziger „Judenhaus“ ziehen. Von dort wurden sie nach Abschluss eines sogenannten „Heimeinkaufsvertrages“, mit dem die Familie Bamberger wie Tausende andere Opfer ihren Transport und die Unterkunft in Theresienstadt selbst finanzieren mussten, am 19. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ludwig starb dort kurz nach seiner Ankunft, seine Frau Olla 1944. Die Kinder von Ludwig und Olla konnten gerettet werden.
Ende 1938 setzte sich die systematische Entrechtung mit den sogenannten Arisierungen, der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ und der „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ fort. In Markkleeberg wurde das Gewerbe des Kommissionärs Bruno Zilversmit, der sich im Juni 1939 mit einem Schiff nach Panama retten konnte, liquidiert. Das Werbebüro von Alexander Eisenberg & Paul Herrmann wurde vollständig auf Herrmann überschrieben und damit „arisiert“. [4] Alexander Eisenberg wurde am 14. Februar 1945 mit dem letzten Deportationszug vom Leipziger Hauptbahnhof aus in das KZ Theresienstadt gebracht und verstarb dort elf Tage später. Auch der jüdische Tennisclub „Rot-Weiß“, in dem viele Leipziger und Markkleeberger spielten, wurde im September 1939 aufgelöst und enteignet. [5]
Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 begingen die Nationalsozialisten erste Massenmorde und Deportationen osteuropäischer Juden. Spätestens im Sommer 1941 begann die systematische, zentral vorbereitete und bürokratische geregelte Vernichtung der europäischen Juden, die etwa sechs Millionen Menschen das Leben kostete. Diesem „eliminatorischen Antisemitismus“ [6] konnte nur entgehen, wer rechtzeitig auswandern oder sich bis zur Befreiung vom Nationalsozialismus verstecken konnte.
Mindi Cerf, eine französische Jüdin die in Markkleeberg wohnte, konnte mit ihrer Tochter im Dezember 1938 nach Frankreich auswandern. [7] Der damals 16-jährige Jakob Suhl emigrierte im Mai 1938 von Markkleeberg aus in die USA, wohin die übrigen männlichen Mitglieder der Familie vorangegangen waren. [8] Bemühungen zur Rettung der zu Hause gebliebenen Mutter, Chane Suhl, scheiterten am fehlenden Geld für das amerikanische Einreisevisum. Ihre Spuren verlieren sich 1941 vermutlich in Litauen. Doch selbst das europäische Ausland bot den Flüchtlingen meist keine dauerhafte Zuflucht. Viele jüdische Emigranten wurden aus ihren Asylländern, die entweder vom Deutschen Reich besetzt waren oder mit diesem kollaborierten, in deutsche Vernichtungslager deportiert, wie das Schicksal der Familie Berliner zeigt. Diese floh vermutlich 1936 nach Belgien und Frankreich, von wo aus sie nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet wurden. Andere Markkleeberger konnten sich nach England oder nach Brasilien retten.
Der 1934 in Gaschwitz geborene Moshe Georgi überlebte mit seinen beiden Brüdern die NS-Zeit versteckt in einer Klempnerei des Onkels. [9] Der Vater, ein evangelischer Christ, wurde 1942 in ein Strafkommando geschickt. Seine jüdische Mutter Anna Sarah Georgi wurde im Herbst 1943 erst in ein Leipziger „Judenhaus“ und später nach Theresienstadt verschleppt. Wie durch ein Wunder überlebten auch sie den nationalsozialistischen Terror. Andere jüdische Familienangehörige kamen im Holocaust ums Leben. 1948 ging Anna Sarah Georgi noch vor der Gründung des Staates Israel mit ihren Söhnen in das britische Mandatsgebiet Palästina, um dort ihre Heimat aufzubauen.
Johannes Hohaus
© Kulturbahnhof e.V., Markkleeberg
25. August 2016