Erinnerungs- und Gedenkkultur
Am 18. April 1945 endete die nationalsozialistische Herrschaft in Markkleeberg mit dem militärischen Sieg der amerikanischen Truppen über die deutsche Wehrmacht. Ende Juni 1945 begann der Rückzug der Amerikaner aus Westsachsen hinter die bayerische Landesgrenze und die Soldaten der Roten Armee besetzen Markkleeberg am 27. Juni. Der Neubeginn stand nicht nur im Zeichen der gesellschaftlichen Umgestaltung nach sowjetischen Vorbild sondern auch der Aufarbeitung und Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit.
Zum Gedenken an die Opfer des Faschismus wurde 1965 auf dem Platz vor dem Markkleeberger Rathaus eine Anlage mit Gedenkstein errichtet. Grund dafür war die Annahme, dass sich in Markkleeberg ein „KZ-Nebenlager“ befand, in dem „jüdische Frauen hinter elektrisch geladenem Stacheldraht gefangengehalten“ [1] wurden. Außerdem lebten nach Angabe des Verfassers 1965 noch „60 VdN-Kameraden und Hinterbliebene in Markkleeberg.“ [2] Diese Tatsachen sprachen für die Realisierung des Mahnmals, für das nun in der Bevölkerung geworben und Geld gesammelt wurde.
Am 8. Mai 1965 wurde das Mahnmal schließlich unter breiter Teilnahme der Bevölkerung mit einer Kranzniederlegung auf dem „Platz der Einheit“ in Markkleeberg eingeweiht. Das Mahnmal soll die Bürger und Besucher Markkleebergs daran erinnern, „welche grausamen Verbrechen vom Hitlerfaschismus begangen wurden und sie mahnen, nie wieder zuzulassen, daß von deutschem Boden Faschismus und Krieg ausgehen.“ [3]
Als wesentliches Gestaltungselement wurde ein roter Winkel als Zeichen der Verfolgten des Naziregimes (VdN) und der Schriftzug „Die Toten mahnen“ angebracht, der schon in den 1990er Jahren aufgrund von Vandalismusschäden demontiert wurde. Der rote Winkel wurde innerhalb des KZ-Systems als Kennzeichnung von politischen Gefangenen benutzt und als Symbol durch den VdN übernommen. Außerdem wurde auf einer grauen Betonsäule eine Feuerschale platziert, die heute ebenfalls fehlt. Damit wurde entgegen der Begründung für dieses Denkmals die Gedenkarbeit auf die Erinnerung an den kommunistischen Widerstand eingeengt. Eine explizite Nennung der Häftlinge des Konzentrationslagers fand nicht statt.
Erst 10 Jahre später, am 8. Mai 1975, wurde zu diesem Zweck am ehemaligen Standort des Außenlagers eine bronzene Gedenktafel an einer ca. zwei Meter hohen Ziegelsteinwand angebracht. Die Tafel existierte bis 1998 mit folgender Inschrift: „Im Wolfswinkel befand sich während des Faschismus ab 1944 ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald mit etwa 600 jüdischen Frauen aus Ungarn, die unter unmenschlichen Verhältnissen Zwangsarbeit leisten mussten und 1945 verschleppt wurden. Wir ehren die Antifaschistinnen, deren Schicksal unbekannt geblieben ist.“ [4] Auch hier wird die realsozialistische Prägung des Gedenkens deutlich.
Mit der Wende 1989 kam es auch zu Umbrüchen im Geschichtsbild und der Erinnerungskultur. Chava Kleinberg, eine ehemalige Insassin im Außenlager des KZ-Buchenwald, brachte in einem Schreiben vom Februar 1992 an die Stadtverwaltung Markkleeberg zum Ausdruck, dass die Gedenktafel an der Ziegelmauer „nicht gerade ein würdiges Mahnmal für jene Schreckenszeit darstellt, die über 600 jüdische Frauen an diesem Ort erfahren haben.“ [5] Und weiter: „Diese Frauen wurden dorthin verschleppt, nicht weil sie antifaschistische Kämpfer waren, wie die Tafel bezeugt, sondern weil sie als Juden geboren und daher als Untermenschen betrachtet wurden.“ [6]
Neben Frau Kleinberg setzte sich besonders Jacqueline Fleury-Marie, eine ehemalige Widerstandskämpferin in der Résistance und Häftlingsfrau in Markkleeberg, für eine neue Gedenktafel ein. Die heutige Inschrift der Gedenktafel mit den korrigierten Angaben über Anzahl und Herkunft der Frauen entspricht ihrem Textvorschlag. Die Einweihung fand am 13. Juni 1998 unter dem Beisein von Frau Kleinberg und Frau Fleury-Marie sowie weiterer überlebender Insassinnen statt.
Ein halbes Jahr nach der Enthüllung der Gedenktafel wurde die „Ausstellung zum Frauenaußenkommando Junkers Markkleeberg“ im Westphalschen Haus am 27. Januar 1998 eröffnet. In der Folgezeit wurde der 27. Januar als Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus auch von der Stadt Markkleeberg begangen. Außerdem kam es zu Begegnungen mit Schülerinnen und Schülern der Mittelschulen und des Gymnasiums von Markkleeberg mit ehemaligen Häftlingsfrauen. Stellvertretend für alle Frauen des Lagers wurde Frau Dr. Zahava Stessel am 16. April 2008 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Markkleeberg verliehen. Ihr Buch „Snow Flowers“ über das tägliche Leben im Außenlager Markkleeberg wurde 2014 von Schülerinnen und Schülern des Rudolf-Hildebrand-Gymnasium in Zusammenarbeit mit ihren Lehrern ins Deutsche übersetzt. [7]
Am 5. Juni 2010 wurden schließlich in Markkleeberg die ersten beiden Stolpersteine in Erinnerung an das durch die Nationalsozialisten in Theresienstadt ermordete Ehepaar Olla und Ludwig Bamberger verlegt. Initiiert wurde das Projekt durch Auszubildende des Leipziger Berufsschulzentrums II anlässlich der Vorbereitung zum Holocaust-Gedenktag 2009. Seit Frühjahr 2016 sammelt eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern des Rudolf-Hildebrand-Gymnasium Informationen zu Markkleeberger Opfern der nationalsozialistischen Diktatur, um mit diesen die Verlegung von weiteren Stolpersteinen vorzubereiten. Am 5. September 2017 wurden weitere sieben Stolpersteine verlegt, die an das Schicksal der Familie Berliner, Alexander Eisenberg, Chane Suhl und Helene Knothe erinnern. Seit dem 16. Mai 2022 erinnern zwei neue Stolpersteine an das Schicksal von Getrud und Gustav Brecher.
Der Markkleeberger Verein „Kulturbahnhof e.V.“ befasst sich seit 2012 mit erinnerungskulturellen Projekten zum Nationalsozialismus in Markkleeberg. So werden regelmäßig Bildungsveranstaltungen und Ausstellungen zeitgenössischer Kunst über den Nationalsozialismus durchgeführt. 2015 war der Kulturbahnhof Mitorganisator des „Schneeblumengedenkweges“ in Erinnerung an den Todesmarsch nach der Auflösung des KZ-Außenlagers Markkleeberg am Ende des Krieges.
Johannes Hohaus
© Kulturbahnhof e.V., Markkleeberg
25. August 2016